Sprang die Gazelle als Luftretter in Deutschland ein?

Die ganze Sache begann mit einem Aufkleber – Mitglieder des Vereins S.O.S.-Flugrettung, also Förderer mit Versicherungsvertrag, bekamen ihn etwa für das Auto, und so wurde er um 1980 relativ bekannt in Deutschland. Was zeigte er? Dynamisch landend einen „Rettungshubschrauber“, vor einer blauen, stilisierten Weltkugel. Nur wenigen Leuten fiel auf, dass es sich bei der gezeigten Maschine um eine Aérospatiale Gazelle handelte. Und noch weniger Leuten stieß auf, dass es diesen Typ doch gar nicht in der deutschen Luftrettung gab. Oder doch?

Der Aufkleber des Anstoßes:
Tausende davon wurden vom Verein verteilt, und sorgen heute noch manchmal für Verwirrung.

Wer war die S.O.S.-Flugrettung?

Der Verein „S.O.S.-Flugrettung“ wurde von Ina von König 1975 ins Leben gerufen. Sie war 1972 an der Gründung der Deutschen Rettungsflugwacht (DRF) beteiligt, dann aber nach internen Streitigkeiten ausgeschieden. Im November 1979 stieg der Verein mit einer Alouette III in die Luftrettung ein, als „Christopher Friesland“ flog diese Notarzteinsätze in Sanderbusch. 1982 stieg die Station auf Bell 206 Long Ranger um (der erste deutsche Rettungshubschrauber mit dem „Star of Life“, lange vor dem Berliner ADAC-Omniflight-Helikopter), stellte aber bald den Betrieb ein – finanzielle Probleme. Nachdem die „etablierten Luftretter“ lange den Sinn der Station bezweifelt hatten, sprang die ADAC Luftrettung überraschend schnell ein … in Sanderbusch fliegt heute noch „Christoph 26“. Gewissermassen als Nachfolgeverein der S.O.S.-Flugrettung existiert heute noch die S.O.S.-Flugrückholung.

Beide in Sanderbusch von der S.O.S.-Flugrettung eingesetzte Helikoptertypen wurden auch bei der Deutschen Rettungsflugwacht eingesetzt, so weit nichts Ungewöhnliches. Zwei weitere, ebenfalls häufig genutzte Helikopter haben Markierungen der S.O.S.-Flugrettung getragen, eine Ecureuil und sogar eine Bo 105. Letztere aber wohl nur als Show-Element (ein Amateurfilm zeigt sie bei einer Konferenz 1978 – Roberto Blanco nimmt aber mehr Filmmeter ein). Bleibt das Rätsel, was es mit der Gazelle auf dem oben gezeigten Aufkleber auf sich hatte …

Gab es die Gazelle überhaupt als Rettungshubschrauber?

Ja und nein – grundsätzlich schon, etwa in Frankreich und Israel, aber in Deutschland nicht. Hier wurde das Muster vor allem durch seinen Einsatz bei den britischen und französischen Streitkräften bekannt, doch auch die Polizei Niedersachsen und ihre Kollegen in Nordrhein-Westfalen flogen mit der Gazelle Streife.

Von ihren technischen Leistungsdaten her stand die Gazelle den bereits genutzten Rettungshubschraubern vom Typ Alouette III nicht nach, war sogar schneller und leichter (bei etwa gleicher Lastmöglichkeit), und hatte den modernen Fenestron-Heckrotor. Der Innenraum allerdings erinnerte mehr an die Ecureuil, die in Deutschland nur als Ambulanzhubschrauber genutzt wurde … der Patient musste backbords längs liegen und dann mit den Beinen in einem Tunnel verschwinden. Machbar, aber nicht optimal in allen Notfallsituationen.

Was für eine Gazelle zeigt der Aufkleber?

Wer denkt, bei dem Helikopter auf dem Sticker handele es sich um ein generisches Bild … der irrt! Tatsächlich lässt sich der Hubschrauber durch seine markante Markierung identifizieren, die schwarz gehaltenen Teile waren im Original lediglich rot lackiert. Weiss man das einmal, kann man relativ schnell die Zulassung D-HARI finden – und diese Sud-Aviation 341G Gazelle (Werksnr. 1019) gehörte nach ihrem Einsatz als HARIBO-Chefflieger zur Firma LTD – Luft Transport Dienst. Eingesetzt wurde sie vor allem im Offshore-Energiesektor, unter anderem im arabischen und asiatischen Raum. LTD hatte jedoch auch eine Präsenz in Emden, geographisch nahe an Sanderbusch.

Übrigens war die Maschine geleast von einer Firma Stetzler mit Sitz in Echterdingen (also am Flughafen Stuttgart), Nachbar der DRF, sozusagen. Und Stetzler verleaste an die DRF unter anderem auch mehrere Ecureuil, und sogar den ersten DRF-Rettungshubschrauber Alouette III mit der Registernummer D-HAAK, der auch für LTD im Offshoredienst am Borkum Riff flog. Eine weitere Alouette III von Stetzler, die D-HELL, flog ebenfalls für die DRF, für LTD … und auch für die S.O.S.-Flugrettung. Eine enge Verbindung zwischen Steltzer, der LTD und der S.O.S.-Flugrettung kann also als gegeben angenommen werden.

Aber (und das ist ein grosses ABER!): Es gibt bislang keinen Hinweis darauf, dass die auf dem Aufkleber gezeigte Gazelle D-HARI jemals in Diensten der S.O.S.-Flugrettung stand, oder auch nur dass sie jemals regulär unter deutscher Registrierung als Ambulanz- oder Rettungshubschrauber genutzt wurde. Zu 100% ausschließen, dass die D-HARI jemals für die S.O.S.-Flugrettung geflogen ist, und sei es nur wie die oben genannte Bo 105 im Rahmen einer Werbeveranstaltung, will ich aber nicht. Später ging sie übrigens an die Air Zermatt, dort mag sie als HB-ZEU durchaus auch Notfalleinsätze geflogen haben.

Ein Rätsel ohne Lösung?

Sieht ganz so aus, doch will ich jetzt einfach einmal Fünfe gerade sein lassen und eine Geschichte erfinden – auf der Suche nach einem Partner im technischen Bereich kamen die S.O.S.-Flugrettung und Steltzer in Kontakt, man wurde ja offensichtlich auch handelseinig. Und als die S.O.S.-Flugrettung nach einem passenden Logo suchte kam man auf die Idee mit dem Hubschrauber vor der Weltkugel. Nun wurde die Alouette III auch in nahezu gleicher Lackierung von der DRF verwendet, das ging also nicht. Und die Bo 105 war in den Augen der Öffentlichkeit bereits durch ADAC und Katastrophenschutz belegt. Also sagte Steltzer: „Wir hätten da noch die Gazelle, die sieht schick und modern aus, und die hat noch keiner!“ Und da die LTD-Lackierung durchaus auch etwas von „Rettungsdienst“ hatte, nahm der Grafikdesigner sie schlicht als Modell.

Unwahrscheinlich? Naja, auf ähnlich verrücktem Weg kam ja auch die Deutsche Rettungsflugwacht zu einer Sikorsky S-55 … aber das ist wieder eine ganz andere Geschichte.